Das rechtswidrige deutsche Steuermonster
Die Wegzugsbesteuerung verstößt gegen europäisches Recht
Unternehmer, die Deutschland verlassen, unterliegen unter bestimmten Bedingungen der sogenannten Wegzugsbesteuerung. Ein BFH-Urteil vom 6. Sept. 2023 hat festgestellt, dass diese Steuer in ihrer derzeitigen Form rechtswidrig ist (veröffentlicht am 11.01.2024). Was bedeutet das für Unternehmer und Privatpersonen, die einen Umzug ins Ausland planen?
Aus steuerlicher Sicht ist insbesondere die Wegzugsbesteuerung nach § 6 des deutschen Außensteuergesetzes zu beachten. Diese Regelung besagt, dass ein Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft – wie etwa einer GmbH – im Falle eines Wegzugs so behandelt wird, als hätte er seine Unternehmensbeteiligung veräußert, was zu einer Besteuerung der stillen Reserven führt.
Relevanz für Wohn- oder Firmensitzverlegung innerhalb der EU
In diesem Zusammenhang muss der Gesellschafter die Wertsteigerungen seiner Beteiligung versteuern, obwohl er keinen tatsächlichen Verkaufsgewinn erzielt hat. Dies stellt viele Unternehmer vor erhebliche Liquiditätsprobleme. Hinzu kommt, dass die Wegzugsbesteuerung bereits dann greifen kann, wenn der Gesellschafter nur seinen Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt, ohne den Wohnsitz in Deutschland aufzugeben.
Selbst Schenkungen oder Vererbungen von Unternehmensanteilen an im Ausland ansässige Personen (z.B. Kinder) können die Steuerpflicht auslösen. Das kann zu einem Großschadensereignis führen.
Daher sollten Unternehmer, die über Wohnsitze im Ausland verfügen oder deren Kinder längere Auslandsaufenthalte planen, diese Steuer im Auge behalten.
Stundung der Wegzugssteuer
Während Gesellschafter, die in Deutschland verbleiben, die Steuer erst bei einer tatsächlichen Veräußerung der Anteile zahlen müssen, führt ein Umzug ins Ausland zur sofortigen Steuerpflicht. Diese ungleiche Behandlung wird seit langem als Verstoß gegen die europäische Niederlassungsfreiheit kritisiert. Bereits am 11. April 2004 (C-9/o2) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine ähnliche Regelung in Frankreich verworfen.
Der deutsche Gesetzgeber führte daraufhin die Möglichkeit einer zinslosen und unbegrenzten Stundung der Steuer für Wegzüge innerhalb der EU und des EWR ein, die sogenannte Ewigkeitsstundung. Für Drittstaaten wie die Schweiz galt diese Regelung jedoch nicht. Stattdessen konnten Unternehmer in Härtefällen lediglich eine Ratenzahlung beantragen.
Abschaffung der Ewigkeitsstundung - Der BFH urteilt anders
Mit dem Gesetz vom 25. Juni 2021 (BGBl. 20121 1, S. 2035) wurde die Ewigkeitsstundung innerhalb der EU und EWR abgeschafft und durch eine siebenjährige Ratenzahlung ersetzt, die unabhängig vom Zielland gilt. Auch für vergangene Wegzüge vor dem 1. Januar 2022 (Gesetz v. 21. Dez. 2023 - BGBl. 2031 I, Nr. 397) gilt diese Regelung rückwirkend, was zur Rückforderung bereits gestundeter Steuern führen kann. Ein Sonderfall betrifft Wegzüge in die Schweiz, für die nie eine Ewigkeitsstundung galt. Ein deutscher Steuerpflichtiger, der 2011 in die Schweiz zog, klagte gegen die Festsetzung der Wegzugssteuer. Der Europäische Gerichtshof entschied am 26. Febr. 2019 (C-581/17), dass Deutschland die Steuer festsetzen kann, jedoch eine dauerhafte und zinslose Stundung gewähren muss, um einen ungerechtfertigten Liquiditätsnachteil zu vermeiden.
Bedeutung des BFH-Urteils und Schlussfolgerungen
Der Bundesfinanzhof hob am 6. September 2023 (I R 35/20) eine Entscheidung des Finanzgerichts Baden-Württemberg auf, das die Wegzugssteuer als unionsrechtswidrig angesehen hatte. Der BFH stellte fest, dass die Steuer festgesetzt werden darf, allerdings muss sie zinslos und dauerhaft gestundet werden, auch ohne explizite gesetzliche Grundlage. Dieses Urteil könnte weitreichende Folgen haben und die Ewigkeitsstundung wieder ins Gespräch bringen. Das Urteil des Bundesfinanzhofs macht deutlich, dass die aktuelle Ausgestaltung der Wegzugsbesteuerung gegen europäisches Recht verstößt.
Um die Rechtskonformität herzustellen, muss die Finanzverwaltung eine zinslose und unbegrenzte Stundung der Steuer ermöglichen, selbst wenn sie bereits entrichtet wurde. Betroffene sollten daher prüfen, ob sie Anspruch auf eine Rückerstattung haben, und entsprechende Anträge beim Finanzamt stellen. Nach unserem aktuellen Kenntnisstand plant der Gesetzgeber derzeit nicht, diesen Rechtsverstoß zu korrigieren. Aus dem Umfeld des Finanzministeriums wurde uns mitgeteilt: „Wir lassen uns verklagen.“
Rechtsstand August 2024
Erstellt von Willi Plattes
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