Analyse: Real Estate
Eine Lanze für das serielle Bauen
Neue Konzepte in der Immobilienbranche könnten helfen, um in Deutschland dringend benötigten neuen und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Dafür braucht es ein Umdenken – nicht nur in der Politik.
Theoretisch alle 80 Sekunden müsste in Deutschland eine Wohnung fertiggestellt werden, um das Ziel der Bundesregierung zu erreichen, jährlich 400.000 Wohnungen zu bauen. Warum das nicht der Fall ist und was sich an den Rahmenbedingungen für den Immobilienmarkt verändern muss, debattierten auf dem Wirtschaftsforum in einer Diskussionsrunde mit Moderatorin Sabine Christiansen der Vorsitzende des Vorstands der Zech Group SE, Kurt Zech, der geschäftsführender Gesellschafter des Bauunternehmens Goldbeck, Jan-Hendrik Goldbeck, sowie der CEO der Schörghuber Unternehmensgruppe, Nico Nusmeier.
Wenn neue Wohnungen auf sich warten lassen, liegt das weniger am Bau-, als am Genehmigungstempo, wie die Referenten ausführten. Einer Planungs- und Konstruktionsphase von praktisch vielleicht 14 Monaten stehe bei größeren Projekten schon mal eine Genehmigungsphase von 14 Jahren gegenüber, von der nötigen Änderung des Flächennutzungsplans über das langwierige Einspruchsverfahren bis hin zur endgültigen Baugenehmigung.
Die Referenten hatten dabei eine Reihe von Beispielen zur Hand, wie ein zuweilen auf die Spitze getriebener Artenschutz – es gehe schon mal um eine Spezies, die gar nicht an dem Standort vertreten sei, aber sich möglicherweise wieder dort ansiedeln könnte – ein strategisches Projekt über Jahre hinaus lahmlegt. Fälle von „Echsenverdacht“ oder die Berücksichtigung von „Rebhühnern mit Brunftabsichten“ beruhten zwar auf Rechtsgrundlagen, seien aber gleichzeitig auch ein Bekenntnis, dass man diese Art bürokratischer Prozesse bewusst in Kauf nehme. Warum nicht anderswo verstärkt in den Artenschutz investieren und dafür bei strategischen Projekten Prioritäten setzen?
Die „Not in my Backyard“-Denke vieler Anwohner werde zum Hemmschuh für Vorhaben, auch wenn diese für die Gesamtbevölkerung von strategischem Interesse seien, vom sozialen Wohnungsbau bis zum Windpark. Die Referenten verglichen die Situation mit einem Unternehmen, das schlechte Ergebnisse habe, aber die Schuld dafür den bestehenden Unternehmensstrukturen gebe.
Lösungen könnten zum einen Leuchtturmprojekte sein, die dann woanders als Blaupause genutzt werden können. Es müsse in der Kommunalverwaltung einen Verantwortlichen geben, der die bestehende „politische Bekenntniskultur“ hinsichtlich der bestehenden Probleme in die Tat umsetze und den bestehenden Ermessungsspielraum voll nutze.
Die Erfahrung zeige, dass die Städte in Deutschland beim Bemühen um Lösungen sehr unterschiedliches Engagement an den Tag legten, auch in Abhängigkeit der jeweiligen politischen Konstellationen. Ein positives Beispiel sei beispielsweise Düsseldorf. Ebenso in Berlin zeige sich Besserung, obwohl unverständlich sei, warum das Potenzial der früheren Flughäfen Tegel und Tempelhof trotz der Wohnungsnot in Berlin nicht umfassender und schneller genutzt werde.
Stichwort serielles Bauen: das Prinzip Baukasten
Die Gebäude, die das Bauunternehmen Goldbeck aus Bielefeld errichtet, werden quasi wie Lego zusammengesteckt – serielles statt konventionelles Bauen, so lautet das Prinzip Baukasten. Es soll dabei helfen, schneller, günstiger und auch nachhaltiger hochwertigen Wohnraum zu schaffen. Das Motto: Sichtbares wird individualisiert, Unsichtbares wird systematisiert. Grundlage bei der Konzipierung ist ein Systemraster, das auf dem Vielfachen von 0,625 Metern basiert. Die Rasterflächen lassen sich dabei flexibel zu Wohnungskubaturen zusammenfassen. Die Fertigbäder produziert Goldbeck in den firmeneigenen Werken und liefert sie als komplettes Raummodul mit Fliesen, Sanitärobjekten und Armaturen auf die Baustelle.
Angesichts des baurechtlichen Flickenteppichs in Deutschland – verwiesen wurde etwa auf 16 unterschiedliche Brandschutzverordnungen – fehlten aber ebenso dringend flächendeckende Lösungen, die bundesweit einheitlich geregelt werden müssten. Ein Vorbild könne die nationale Wasserstoffstrategie sein, solche staatlichen Leitplanken brauche man auch im Wohnungsmarkt. Diese seien vor allem deswegen nötig, um den „magischen Innovationskasten“, den andere Branchen wie etwa die Automobilindustrie bereits seit langem nutzten, ebenfalls einsetzen zu können.
Das Stichwort lautet serielles Bauen: Wohnungsgebäude werden nicht mehr nur auf der Baustelle errichtet, sondern ähnlich wie in der Automobilbranche industriell in einem Werk teilvorgefertigt. Entworfen werden dafür Gebäudeteile oder Module, die dann mehrfach produziert werden. Vor Ort lassen sich diese dann nach dem „Lego-Prinzip“ miteinander verbinden und individualisieren. So ließen sich Geschäftsmodelle expandieren, ohne Fix- und Entwicklungskosten zu erhöhen, und damit letztendlich Kosten senken.
Die Ersparnis sei nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Baukosten, die für die Branche im Zuge der Folgen des Ukraine-Krieges deutlich gestiegen seien, von zentraler Bedeutung. Werde diesen nicht entgegengewirkt und weiter „sequentiell und zerstückelt“ geplant und produziert, drohe ein Teufelskreis: Es wird weniger gebaut, es fehlen noch mehr Wohnungen, und politische Maßnahmen wie die umstrittene Mitpreisbremse drohten, Investoren von geplanten Projekten abzuschrecken.
Um dem seriellen Bauen mehr Chancen zu geben, seien allerdings darüber hinaus die zahlreichen Branchenverbände der Bauindustrie in Deutschland gefragt. Sie müssten sich trotz unterschiedlicher Interessen um mehr Einigkeit bemühen und im Dialog mit der Politik mit einer Stimme sprechen, um stärker gehört zu werden.
Des Weiteren blickten die Referenten aber auch über den deutschen Tellerrand hinaus: Warum keine einheitlichen baurechtlichen Bestimmungen in zentralen Bereichen wie dem Brandschutz? Ein Feuer in einem Gebäude lege schließlich kein unterschiedliches Verhalten in Abhängigkeit davon an den Tag, ob es in Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen oder im Nachbarland Frankreich ausbreche.