Geopolitik: Die Auswirkungen der neuen Polykrisen
Analyse der globalen Polykrisen und ihre Bedeutung für politische und wirtschaftliche Entscheidungen weltweit.
Die Zeiten, in denen sich die internationale Politik bei der Lösung von Problemen auf einen einzelnen Konfliktherd konzentrieren konnte, sind vorbei. Was sich gerade verändert und was das für die Zukunft bedeutet.
Neuartig ist hingegen, dass die verschiedenen Brennpunkte und gleichzeitig stattfindenden Konflikte in der zunehmend globalisierten Welt so miteinander verwoben sind, dass sie sich nicht einzeln betrachten oder lösen lassen. Wer den Iran an der Produktion von Atomwaffen hindern will, braucht Russland. Moskau würde dafür Zugeständnisse in der Ukraine fordern. Beim Wettlauf um den Einfluss in der Sahelzone geht es auch darum, wer dort Migration auslösen und damit Europa bedrohen kann. Im Zeitalter der Polykrisen sind Fragen wie Klimawandel, Umweltverschmutzung und Migration nicht von den überall auf der Welt stattfindenden bewaffneten Konflikten zu trennen. Wir erleben die Schattenseiten der Globalisierung.
Im globalen Kampf um eine neue internationale Ordnung fordert eine Reihe von Staaten die bestehende Ordnung heraus. Allerdings darf dieser Zustand nicht über die eindeutig unterschiedlichen Gewichtsklassen in dieser Auseinandersetzung hinwegtäuschen. Selbst wenn viel von Multipolarität die Rede sein wird, gibt es ein bis zwei große Player – USA und zunehmend China – und eine ganze Gruppe von Akteuren in der zweiten Liga der Macht. Um es mit einer auf dem Forum genannten Metapher auszudrücken: Es gibt nur zwei Gorillas und eine ganze Reihe von 150-Kilo-Schimpansen.
Es entsteht also eine neue Form der Bipolarität – USA-China statt USA-Sowjetunion – von der einerseits noch unklar ist, wie sie genau aussehen wird, die aber andererseits vermutlich weniger stabil sein wird als die alte Konstellation der beiden Supermächte im Kalten Krieg.
Völlig ungewiss ist zudem, welche Auswirkungen es hätte, wenn Putin in irgendeiner Form siegreich aus seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine hervorgehen sollte. Nicht nur der russische Präsident könnte sich ermutigt fühlen, zur Wiedererlangung der alten sowjetischen Größe neue Gebiete anzugreifen. Auch andere Machthaber überall auf der Welt könnten dies als Anreiz sehen, lange schwelende Grenzkonflikte nun mit Waffengewalt für sich zu entscheiden.
Wettlauf im Weltraum
Der Begriff Geopolitik – von griechisch Geo = Erde – könnte bald schon zu kurz greifen. Denn die Bilder von archaisch ausgeführten Kriegen – Bomben auf Krankenhäuser – lassen leicht vergessen, dass der Wettkampf um die Frage, wer in Zukunft als Supermacht besteht, zunehmend an Orten stattfindet, über die keine Journalisten berichten: an arktischen Tiefsee-Datenkabeln, in der Umlaufbahn von Satelliten oder auf dem Mond. Der Krieg in der Ukraine wird auch entscheidend von der Frage geprägt, wer den besseren Zugang zu Satellitenkommunikation und Internetverbindung hat.
Wer als erster Solarenergie aus dem Weltall auf der Erde nutzbar machen kann, verschafft sich einen riesigen Vorsprung gegenüber allen Mitbewerbern. In Schwerelosigkeit lassen sich Materialien produzieren, die auf der Erde nicht herstellbar sind. Die Nachricht darüber, dass Russland möglicherweise Waffen ins Weltall geschickt haben könnte, sollte also nicht so sehr überraschen. Ist Europa hier vollends aus dem Rennen?