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Analyse: Deutschland im Wettbewerb

Niemand ist nicht verantwortlich

Um die Krise des Wirtschaftsstandorts Deutschland zu bewältigen, sind eine große Staatsreform sowie ein Umdenken im staatlichen Handeln nötig – vor allem aber die Lösung eines massiven gesellschaftlichen Problems. 

Dass es um den Standort Deutschland schon mal besser bestellt war, ist inzwischen jedem klar geworden, auch die politische Konstellation der Ampel-Koalition gilt bekanntlich als schwierig. Aber welche Ursachen stehen hinter Problemen wie dem oft beklagten Bürokratiedschungel oder der fehlenden Innovationsfähigkeit? 

Darüber sprachen beim Wirtschaftsforum hochkarätige Vertreter aus Politik und Wissenschaft, so Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister a.D. und ehemaliger Chef des Bundeskanzleramtes, der ehemalige Wirtschaftsweise Prof. Dr. Lars Feld oder Christoph Ahlhaus, Präsident des Mittelstandsverbands (s. Interview LINK). Hinzu kamen Stimmen aus der Praxis, etwa von Natalie Mekelburger, der Vorsitzenden der Geschäftsführung der Coroplast-Gruppe, Dr. Lars Brzoska, CEO des Interlogistikdienstleisters Jungheinrich, Andreas Voll, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Unternehmensgruppe fischer, und Prof. Jörg Rocholl, Professor in Sustainable Finance an der ESMT Berlin. 

Die Referenten konstatierten ein zerstörtes Vertrauen in den deutschen Staat, der sich in fast jeder Hinsicht „verheddert“ hat – von der überbordenden Dokumentationspflicht im Umweltschutz über die Überregulierung des Arbeitsrechts bis hin zur „Verkrampfung“ im Datenschutz. Was pauschal als bürokratischer Dschungel und Digitalisierungsdefizit kritisiert wird, hat seine Ursache in der sektoralen Organisation der politischen Verwaltung mit getrennten Behörden und jeweils eigener Rechtsmaterie. Ohne eine grundlegende Verwaltungsreform, ohne eigene Bundesverwaltung, die in zentralen Fragen eine verpflichtende Linie vorgibt sowie die Umsetzung von Beschlüssen erzwingt, verschlimmert jedes gut gemeinte Gesetz die Zustände weiter, und zusätzliche finanzielle Mittel etwa für die Digitalisierung seien nicht zielführend einsetzbar, so die Analyse. Es gehe nicht um diese oder jene Auflage, es gehe vielmehr um die Bedingungen staatlichen Handelns. 

Aber auch die Wirtschaft selbst steht in der Pflicht, stammt doch ein großer Teil des Bürokratiewusts von deren Selbstverwaltung, von Berufsgenossenschaften, Kammern und Gremien. Dass eine große Reform gelingen kann, dafür spricht die dramatische Lage, wie ein drastischer Vergleich verdeutlichte: Manchmal braucht es eben erst einen Herzinfarkt, um sich das Rauchen abzugewöhnen. 

Damit Deutschland in Sachen Bildung aufhole, müsse dieses Schlüsselthema zunächst auch in der öffentlichen Debatte sowie im Wahlkampf eine größere Rolle spielen. Im Zweifelsfall sei Pragmatismus gefragt: Unternehmer berichteten vom Auflegen betriebsinterner Weiterbildungsprogramme, um die Defizite bei diesem „einzigen in Deutschland nachwachsenden Rohstoff“ auszugleichen. Diese Investition lohne sich, auch wenn es sich eigentlich um eine Aufgabe des Staates handle. Auch eine engere Verzahnung von Bildungseinrichtungen einerseits und Unternehmen andererseits sei ein wichtiger Schritt. 

Die Analyse reichte aber weit über die Politik hinaus. Wie ein roter Faden durch die Debatte zog sich die Feststellung, dass vor allem die Einstellung in der Gesellschaft der Bewältigung der Krise im Weg stehe. Zu viele hätten den Ehrgeiz verloren, die besten sein zu wollen. Erfolgreiche Start-up-Unternehmer verkauften lieber, statt in eine höhere Liga aufzusteigen. Es fehle der Mut, etwas zu wagen, es fehle an Tempo bei nötigen Transformationen. Viele Menschen, die sich an Überflussgesellschaft und beständig wachsenden Wohlstand gewöhnt hätten, verzagten angesichts der neuen Ungewissheiten, zumal bislang stets „Mutti“ mit Hilfsprogrammen eingesprungen sei. Die Menschen wollten einerseits weniger Staat, andererseits aber dessen „Sorglospaket“ nicht geschmälert wissen. 

Statt eines Wirtschaftswettbewerbs gebe es in mancher Hinsicht in Deutschland heute inzwischen einen „Schönheitswettbewerb“ um Subventionen, die mit der gebotenen Schuldenbremse nicht vereinbar seien. Und da mit diesen staatlichen Hilfen auch viel alte Industrie gefördert werde, fehle es am nötigen Druck zum Strukturwandel in Deutschland. Viel sinnvoller sei ein stärkerer Schwerpunkt bei der Innovationsförderung, um den Anschluss bei neuen Patenten nicht zu verlieren, sowie ein politischer Rahmen, der mehr Impulse setze, statt ungewünschte Optionen zu verbieten, beispielsweise durch eine CO2-Bepreisung statt eines Verbrennerverbots. 

Die Referenten appellierten angesichts einer „zu satten“ Gesellschaft, traditionelle deutsche Tugenden wie Disziplin und Fleiß mit einer neuen Offenheit für Veränderungen zu kombinieren, mehr Eigenverantwortung zu zeigen und andere für ihr Engagement nicht mit Häme zu bestrafen, wenn etwas nicht auf Anhieb klappt. Denn egal ob Politiker, Wirtschaftsboss oder einfacher Bürger – niemand sei nicht verantwortlich. 


Was will eigentlich das BSW?

Es wurde voll auf dem Podium beim Gespräch über die Newcomer-Partei. Nur die Hauptperson fehlte.

Der überparteiliche Anspruch, den das Wirtschaftsforum NEU DENKEN verfolgt, wurde in der Debatte über die neu gegründete Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) besonders deutlich. Im gemeinsamen Gespräch sollte ergründet werden, wofür diese inhaltlich noch wenig bekannte Gruppierung steht und wie sich die anderen politischen Kräfte zu ihr positionieren. Auf dem voll besetzten Podium debattierten Ralph Suikat als Schatzmeister und Bundesvorstand des BSW, Wolfgang Kubicki als stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP, Gitta Connemann als langjährige CDU-Abgeordnete im Bundestag sowie als Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Prof. Dr. Carlo Masala als Leiter der Professur für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München sowie die Unternehmensvertreter Dr. Lars Brzoska als CEO der Jungheinrich AG und Karl Gernandt als Präsident des Verwaltungsrats der Kühne Holding AG.Zunächst ging es um die Frage, ob man durch die vom BSW angestrebte Umverteilung denjenigen hilft, die heute weniger verdienen und somit zu den Verlierern der globalisierten Wirtschaft gehören. Ob eine Gesellschaft dadurch lebenswerter wird, dass der Kuchen „gerechter“ verteilt wird. Inwieweit eine auseinanderklaffende Einkommensschere ein sozialer Missstand ist. Und ob ein Mehr an Umverteilung nicht auch der Demokratie helfen könnte, weil mehr Menschen Zeit hätten, sich neben der Lohnarbeit auch gesellschaftlich oder politisch zu engagieren.

Wirtschaftsfeindliche Positionen

Auch manche Vertreter aus der Wirtschaft wehren sich nicht kategorisch gegen das Konzept der Umverteilung, und möglicherweise gäbe es bei einigen sogar Verständnis für Steuererhöhungen bei Besserverdienenden, wenn die Einnahmen richtig eingesetzt würden. Auf wenig Gegenliebe stießen allerdings grundsätzlich wirtschaftsfeindliche Positionen. Kritisiert wurden Forderungen des BSW, wie sie zum Beispiel im Parteiprogramm zur Europawahl stehen. Formulierungen wie die „heutige EU ist ein Europa der Banken und des Big Business“ und die im Programm enthaltene Forderung nach „Aufspaltung von Megabanken“ stellen aus Sicht einiger Podiumsteilnehmer eindeutig eine antikapitalistische Position dar. Die Wirtschaft in Europa brauche aber große Banken. Und wo nichts erwirtschaftet werde, könne man auch nichts umverteilen.

Zudem dürfe man die noch unbekannte Partei nicht allein nach dem Programm beurteilen, sondern müsse dabei auch den Werdegang und die Positionen ihrer dominierenden Gründerin Sahra Wagenknecht berücksichtigen. Schon der Titel ihres im Jahr 2011 veröffentlichten Buches „Freiheit statt Kapitalismus“ zeige deutlich die antikapitalistische Einstellung.

Kritisiert wurde weiterhin, dass die im Programm stehenden Forderungen keine kohärente politische Linie böten. Die Partei steche vielmehr erstens durch die starke und medienwirksame Persönlichkeit von Sahra Wagenknecht selbst hervor sowie zweitens durch eine Aneinanderreihung klassischer populistischer Forderungen. Im Programm, so die Kritik, gebe es keinen roten Faden. Klassisch linke antikapitalistische Thesen stünden neben eher rechtspopulistischen Forderungen in Sachen Einwanderungspolitik, wo sich das BSW eher der AfD nähere. In Bezug auf die Außenpolitik seien die Positionen weder glaubwürdig noch koalitionsfähig. Es entstehe der Eindruck, man habe keine Probleme, mit autoritären Staaten zusammenzuarbeiten – von Kuba, über Russland bis China – solange diese antiamerikanisch seien. 

Das BSW und die Finanzierung

Allerdings wurde auf dem Podium auch klar, dass die junge Partei ihre Haltung in vielen Fragen erst noch finden muss. Viele plakative Argumente gegen das BSW entsprächen eher Parolen der Boulevardpresse. Zudem habe die Partei zurzeit begrenzte finanzielle Ressourcen – insbesondere eine Groß- und viele kleine Spenden – und müsse mehrere Wahlkämpfe mit wenig Geld finanzieren. Der Vorwurf einer möglichen Finanzierung aus Moskau wurde derweil entschieden zurückgewiesen. 

Insgesamt war auf dem Podium Lust zu spüren, über grundsätzliche Fragen in der Politik – jenseits von parteipolitischen Vorlieben – zu diskutieren. In einer Demokratie brauche es mehr „All-In-Politiker“, die sich mit ganzer Seele ihren Überzeugungen verschrieben. Das ruppige Umfeld in der Politik halte viele fähige Personen davon ab, sich parteipolitisch zu engagieren.

Debatte über sie statt mit ihr: Die Galionsfigur Sahra Wagenknecht sagte ihr Kommen ab

Bei der Debatte zeigte sich auch, wie herausfordernd es ist, ein Gespräch über eine Partei zu führen, deren Gründerin und Namensgeberin nicht anwesend war. Die ehemalige EU-Abgeordnete (2004 bis 2009) saß seit 2009 zunächst für Die Linke im Bundestag. Während der Großen Koalition aus CDU und SPD übte sie zeitweise als Vorsitzende der größten Oppositionsfraktion die Rolle der Oppositionsführerin aus. Im Januar 2024 gründete sie die neue Partei BSW. 

Ihre geplante Teilnahme am Wirtschaftsforum NEU DENKEN sagte sie mit Verweis auf Wahlkampftermine für die Kommunalwahlen in Thüringen zwei Tage und die EU-Wahlen zwei Wochen später ab. 

Das kurzfristige Einspringen von Ralph Suikat wurde von den Podiumsteilnehmern als “mutig” gewürdigt, auch wenn zu spüren war, dass man sich auf ein hitziges Streitgespräch mit der Galionsfigur vorbereitet und gefreut hatte.

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