Interview: Christoph Ahlhaus
„Wir ruhen uns auf dem Wohlstand aus“
Christoph Ahlhaus, Vorsitzender des Mittelstandsverbands BVMW, Generalsekretär des Bundeswirtschaftssenats und Präsident des europäischen Dachverbands CEA-PME, über Mittel gegen den Reformstau.
Sie kritisieren, dass Unternehmer in den Medien oft als Lautsprecher schlechter Stimmung fungieren. Lässt sich das in der aktuellen Situation überhaupt vermeiden?
Wenn die Lage schwierig ist, lässt es sich nicht vermeiden, auch über schwierige Dinge zu reden. Grundsätzlich sind mittelständische Unternehmer Optimisten, sonst würden sie nicht ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen. Sie glauben an das, was sie tun. Aber wir haben nun unbestritten riesige Probleme am Wirtschaftsstandort Deutschland, vor allem für den Mittelstand als Rückgrat des Wohlstands. Und darauf hinzuweisen, tut heute mehr denn je Not. Denn nicht nur die Politik, auch die Gesellschaft hat nicht mehr im Blick, worauf es momentan ankommt, um Wohlstand und damit auch soziale Sicherheit und sozialen Frieden zu sichern. Deswegen ist der Unternehmer mehr denn je gefordert, das auch zu artikulieren, auch auf die Gefahr hin, dass man ihm dann unterstellt, er sorge damit für schlechte Stimmung.
Wie schlecht ist denn die Lage am Standort Deutschland? Gilt momentan Warnstufe Gelb, Orange oder schon Rot?
Ich würde sagen Orange. Es ist eine Minute vor zwölf. Wir müssen jetzt gegensteuern, wir haben bereits im Rahmen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit viel Boden verloren. Die Konkurrenz schläft nicht, im Gegenteil. China, die USA und weitere Länder sind nicht nur besser, sondern auch schneller geworden. Wir brauchen eine selbstbewusstere Wirtschaftspolitik auf europäischer Ebene. China will Weltwirtschaftsführer werden und verdrängt uns von den internationalen Märkten. Deutschland ist eine Exportnation. Wir leben davon, unsere Waren weltweit zu verkaufen. Das geht rapide zurück. Deutsche Unternehmer verlagern ihre Produktions- und Unternehmensstandorte. Oder machen ganz zu und verkaufen. Das Know-how wandert ab ins außereuropäische Ausland. Das sind dramatische Entwicklungen in Deutschland. Und wenn das so weitergeht, dann werden wir unseren Wohlstand und auch die soziale Sicherheit für viele Menschen verlieren.
Vor kurzem ist in Deutschland das Wachstumschancengesetz in Kraft getreten – ein wichtiger Schritt?
Das ist ein wichtiges Signal, auch wenn es nur einen Tropfen auf den heißen Stein bedeutet. Die unternehmerisch denkenden und handelnden Menschen in Deutschland haben gesehen: Diese Regierung hat verstanden, sie steuert um in Richtung Wachstum. Auch wenn das Gesetz nach den vielen Diskussionen verwässert wurde. Schlimm genug, dass es so lange gedauert hat und dass selbst die Opposition es noch blockiert hat.
Sie haben reichlich Erfahrung in Politik und Wirtschaft gleichermaßen. Warum ist die Kommunikation zwischen diesen Sektoren so schwierig?
Es ist leicht, als Verbandsvertreter nur auf die Politik zu schimpfen. Das wird der Sache nicht gerecht. Denn die Politik ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Wir müssen alle an uns arbeiten. Die Politik muss den Rahmen setzen. Das tut sie nicht oder falsch. Aber wir alle müssen wieder Lust auf Wettbewerb und Leistung haben. Die Gesellschaft hat sich bequem eingerichtet, sie ist zu satt geworden. Die derzeitige Flaute ist keine Folge einer gesamtwirtschaftlichen Rezession, so wie bisher, sondern es herrscht ein Sonderklima, weil wir uns auf dem Wohlstand ausruhen. Ein Beispiel: Bei den Bundesjugendspielen wird die Stoppuhr abgeschafft. Natürlich ist es schön, wenn keiner verlieren kann. Aber dann wird sich auch keiner richtig anstrengen. Und das ist genau das Problem, woran unsere Gesellschaft momentan leidet.
Es gibt eine lange Liste von Problemen für den Standort Deutschland. Welches halten Sie für besonders akut?
Wir machen regelmäßig Umfragen bei unseren Mitgliedsunternehmen über die größten Probleme, und auf Platz eins ist immer die Bürokratie. Dabei muss man aber auch bedenken, dass sie Ausfluss eines gesellschaftlichen Denkens von uns allen ist: Es geht um eine Totalabsicherung. Keiner will mehr Verantwortung für sein Tun übernehmen, deswegen werden immer noch weitere Gutachter bestellt. Solange wir dieses Denken nicht wegbekommen, wird es sehr schwer sein, Bürokratie als Haupthemmnis im internationalen Wettbewerb zu beseitigen.
Hinzu kommen Imageprobleme, wie Sie bei einer Studie über die Fernsehserie Tatort festgestellt haben.
Wir hatten den Eindruck, dass in unserer Gesellschaft der Unternehmer, der Selbstständige kein gutes Image mehr hat. Natürlich will ein Unternehmer Gewinn machen. Aber er schafft Arbeitsplätze und Wohlstand. Das wird wenig gewertschätzt, wie auch unsere Analyse des Tatorts zeigte. Tatsächlich sind es mit ganz großem Abstand mittelständische Unternehmer, die morden, gefolgt von Berufs- und Gewaltverbrechern und Polizisten. Da transportiert das öffentlich-rechtliche Fernsehen ein mächtiges Klischee, von dem wir wegkommen müssen.