Skip to main content Skip to page footer

Wege aus der Arbeiterlosigkeit

Eine ehrliche Debatte bei NEU DENKEN über fehlende Arbeitskräfte, die Zuwanderung, die vermeintliche „Generation arbeitsunfähig“, das wackelnde Wohlstandsversprechen und die Zukunft der Rente.

Mit dem Bestseller „Die große Arbeiterlosigkeit“ hat Dr. Sebastian Dettmers ein inzwischen vielfach zitiertes Schlagwort zur derzeitigen Debatte über den Mangel an Arbeitskräften in Deutschland geliefert. Die Vorstellung, dass sich Hunderte Bewerber um eine ausgeschriebene Stelle streiten und der Arbeitgeber den besten aussuchen kann, trifft inzwischen für immer weniger Branchen zu. Unternehmen sind besser beraten, sich aktiv um gutes Personal zu bemühen und dieses in der Firma durch attraktive Angebote zu halten sowie auch weiterzubilden.

Bei NEU DENKEN analysierten der Buchautor Dettmers – CEO der Online-Jobplattform Stepstone – und Sybille Reiß, Personalvorständin der TUI Group, die Lage im Gespräch mit Moderator Michael Bröcker. Die Themen Produktivität der Arbeitskraft und neue Arbeitskultur tauchten während des Wirtschaftsforums aber auch in weiteren Diskussionen auf und lieferten Argumente, die ebenfalls in diesen Text einfließen.

Deutschland und andere Industrieländer können auf rund 250 Jahre Wohlstand zurückschauen. Seit der Revolutionierung der Textilindustrie durch die Spinnmaschine „Spinning Jenny“ hat sich die Arbeitsproduktivität um das 50-fache gesteigert, weltweit immerhin um das 15-fache. Doch der Glaube, dass sich der damit verknüpfte Wohlstand auch in Zukunft weiter steigern wird, bröckelt: Nur 14 Prozent der Bevölkerung – im Konferenzsaal von NEU DENKEN lag der Anteil etwas höher, wie eine Blitzumfrage ergab – glauben, dass es der kommenden Generation einmal besser gehen wird.

Da sich die Zahl der gearbeiteten Stunden über die Jahrhunderte halbiert hat – früher verbrachten die Menschen den Tag auf dem Acker, heute dagegen wird über die Vier-Tage-Woche gesprochen – kann der Treiber des Wohlstands nur die Steigerung der Produktivität sein. Statistiken zufolge verdoppelte sich diese in den vergangenen Generationen ungefähr alle 35 Jahre. Doch etwa seit dem Jahr 2019 herrscht Stillstand – eine Stagnation des Fortschritts, wie es sie lange nicht gegeben hat.

Gleichzeitig zeichnet sich die Alterung der Gesellschaft immer deutlicher ab. Die Menschen leben länger, und es werden immer weniger Kinder geboren. Im Jahr 1970 unterschritt die Geburtenrate in Deutschland erstmals den magischen Wert von 2,1 Kindern pro Frau, womit die Einwohnerzahl nicht mehr ohne Zuwanderung wachsen kann. Spätestens seit den 1990er Jahren gibt es in Europa kein Land mehr mit einer aus eigener Kraft wachsenden Bevölkerung. Nur in einzelnen afrikanischen Ländern dürfte die Zahl der Menschen im kommenden Jahrzehnt noch zunehmen. Kamen in Deutschland früher sechs arbeitende Menschen auf einen Rentner, sind es aktuell nur noch drei – und ab 2040 voraussichtlich nur noch zwei. Diese Perspektive verpflichte zu einer ehrlichen Debatte über die Reform des Rentensystems.

Auch beim Thema Zuwanderung sei ein neuer Diskurs nötig. Dabei dürfte hilfreich sein, Erwerbszuwanderung einerseits und die humanitäre Flucht aus Krisengebieten andererseits in der öffentlichen Debatte wie auch in den gesetzlichen Vorschriften klar zu unterscheiden. Die Aufnahme von Flüchtlingen habe das Thema Migration so überlagert, dass sich kaum jemand traue, offen über Erwerbszuwanderung zu sprechen. Das müsse sich ändern. Die politische Krise in den USA, die eine große Zahl von Fachkräften mit oder ohne Migrationshintergrund vertreiben oder abschrecken dürfte, biete da möglicherweise eine Chance. Europa könnte für sie zur letzten Bastion der Freiheit werden. Wie also qualifizierten Zuwanderern das Einleben in Deutschland erleichtern?

In jedem Fall wächst die Erkenntnis, dass in einer alternden Gesellschaft mit schrumpfender Bevölkerung und sinkender Wochenarbeitszeit das Wachstum für den angestrebten Wohlstand nur aus einer Produktivitätssteigerung heraus entstehen kann. Wer kann das richten? Die junge Generation. Das Gerede über die vermeintliche „Generation arbeitsunfähig“ führe in eine falsche Richtung und spiegele nicht unbedingt die Erfahrung der Unternehmen wider. Die Generation benötige vielmehr eine Perspektive, für die es sich zu kämpfen lohnt – weniger Arbeit und mehr Wohlstand durch mehr Produktivität. Die derzeitig verbreitete Botschaft – die jungen Leute seien verzogen und verweichlicht, sie müssten härter und länger arbeiten, sich aber gleichzeitig von der Vorstellung von Rente und Sozialversicherung verabschieden – sei falsch und kontraproduktiv. Die neue Generation müsse von einer besseren Zukunft träumen dürfen. Es gelte, einen „German Dream“ neu zu erfinden, für den es sich lohne, ordentlich Gas zu geben.

Referenten aus der Unternehmerwelt machten bei den jungen Mitarbeitern denn auch keine Grundhaltung der Faulheit aus. Vielmehr handle es sich um eine Generation, die klar artikuliere, was sie zu liefern bereit sei, welche beruflichen Tätigkeiten sie gerne ausführen wolle – und welche nicht. Auch die Forderung, dass Beruf und Familie vereinbar sein müssten, werde klar formuliert. Solche Klarstellungen und Haltungen sollten als Leistungsbereitschaft anerkannt und positiv bewertet werden.

Um die Produktivität zu steigern, muss die Technologie der Stunde, die Künstliche Intelligenz, optimal genutzt werden, so die einhellige Meinung unter den Referenten. Wer sie beispielsweise ausschließlich einsetze, um per ChatGPT lange E-Mails zu produzieren, verschwende Zeit und Potenzial. Um die Arbeit der Mitarbeitenden im Unternehmen durch KI effizienter zu gestalten, müssten zunächst Hürden und Ängste überwunden werden. Die größte Herausforderung bestehe darin, den „Stecker der Angst zu ziehen“. Dazu gehöre es, alle Schritte der nötigen Transformation transparent mit dem Betriebsrat zu planen. Die Mitarbeiter müssten aufgeklärt, befähigt und begeistert werden. Es brauche ein Verständnis auf breiter Front, dass durch den Einsatz von KI Arbeitskräfte im Unternehmen erhalten werden könnten, denen ohne Produktivitätssteigerung der Firma die Entlassung drohe.

In diesem Zusammenhang appellierten mehrere Referenten des Forums auch zu mehr Fehlerkultur. Die Erkenntnis, dass das Einräumen von Fehlern keine Schande sei, setze sich in Deutschland langsamer durch als in anderen Ländern. Dabei werde der richtige Umgang mit Fehlern – persönlich, im Team, im Unternehmen und in der Gesellschaft – zu einer zunehmend wichtigen Schlüsselqualifikation. Wenn ein Bewerber im Vorstellungsgespräch erklären kann, was er aus vergangenen Fehlern gelernt hat, sollte das als Asset gelten. Und Investoren sehen es mitunter als positives Zeichen an, wenn ein Firmengründer nicht nur Erfolge, sondern auch Misserfolge vorweisen kann.

Um eine neue und produktivere Fehlerkultur zu fördern, setzen immer mehr Unternehmen auf sogenannte Fuck-up-Nights: Mitarbeiter auf allen Ebenen – einschließlich der Chefetage – reden und lachen über Missgeschicke, vergeigte Termine, echte Tiefschläge oder grandios gescheiterte Projekte. Denn wenn sogar der Chef oder die Chefin Fehler einräumen, dann müssen sich auch Teamleiter und einfache Angestellte nicht für Fehlgriffe schämen.

Beratungsanfrage

Bitte beachten Sie unsere Honorare
Datenschutzhinweise ansehen
* Pflichtfelder