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Ein echtes Momentum für Deutschland?

Mit der neuen Bundesregierung verknüpft die Wirtschaft große Hoffnungen. Welche Aufgaben am dringendsten sind und ob das Land jetzt auf dem richtigen Weg ist, waren zentrale Themen hochrangig besetzter Debatten.

Momentum. In dem Wort schwingen viele Bedeutungen mit. Es kann einen günstigen Augenblick beschreiben, einen Vorwärtsimpuls in der Militärsprache oder einen eher psychologischen Vorteil in Sportwettkämpfen. Der Ausdruck verknüpft eine positive Grundstimmung mit einem mitunter wenig greifbaren Zweckoptimismus. Das breite Bedeutungsspektrum dürfte mit eine Erklärung dafür sein, warum das „Momentum“ so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner aller Debatten über die Stimmungslage in Deutschland war. Erst fünf Wochen zuvor hatte die schwarz-rote Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz die Arbeit aufgenommen. Zu früh für konkrete Ergebnisse oder gar eine Bilanz zur Wirtschaftspolitik. Aber über die Erwartungen und Perspektiven sprachen in Foren und Vorträgen CDU-Generalsekretär Dr. Carsten Linnemann, der ehemalige SPD-Parteivorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel sowie die stellvertretende FDP-Vorsitzende Svenja Hahn. Aus Sicht der Wirtschaft äußerten sich der Investor Christian Miele, die Rüstungsexpertin Susanne Wiegand (siehe Interview), der CEO des Drogeriemarkts dm, Christoph Werner, und der Hauptgeschäftsführer der deutschen Arbeitgeberverbände Steffen Kampeter. Die Perspektive der Automobilbranche vertraten VDA-Präsidentin Hildegard Müller und Jörg Heinermann, CEO Mercedes-Benz Cars Deutschland.

Die Referenten machten für das wiederholt angeführte Momentum klare Signale aus: Auf Investorenkonferenzen gelte Deutschland wieder als interessant, der Optimismus und die Bereitschaft für Risikoinvestitionen seien zurück. Gelockerte Schuldenbremse, neue Mittel für die Rüstungswirtschaft, Kapitalzufluss, erste Top-Wissenschaftler aus den USA, die sich von Trumps Politik abwenden und Interesse für den Standort Deutschland zeigen – für mehrere Referenten sind diese Aspekte Anlass für Hoffnung. Andere sahen eine positive Grundstimmung, warnten aber vor verfrühtem Optimismus, der bislang nicht durch Fakten gedeckt sei. Alle Beteiligten, darin herrschte Einigkeit, täten gut daran, dieses Momentum – real greifbar oder rein psychologisch – zumindest nicht totzureden.

Die neue Bundesregierung müsse nun Handlungsfähigkeit beweisen. Die CDU habe mit dem Schuldengesetz Anhänger verschreckt und nun eine Glaubwürdigkeitslücke zu schließen. In der SPD gebe es zwar Skepsis und politischen Sprengstoff, zum Beispiel im Streit über außenpolitische Themen. Insgesamt sei aber der Druck auf die Koalition so hoch, dass sich beide Parteien der Verantwortung bewusst seien und nun liefern müssten. Andernfalls drohe innenpolitisch ein weiteres Erstarken der Rechtsextremen und außenpolitisch eine Handlungsunfähigkeit der durch das angespannte Verhältnis mit den USA und die Kriege stark geforderten EU. Die FDP wiederum müsse den verpassten Einzug in den Bundestag als Chance zur Neuaufstellung begreifen. In einer liberalen Marktwirtschaft müsse sie in der Lage sein, mit ökonomischer Kompetenz nicht nur als abgehobene Elitenpartei wahrgenommen zu werden, sondern auch die Herzen einer breiteren Wählerschaft zu erreichen.

Weitestgehend Einigkeit herrschte darüber, dass Merz einen neuen Politikstil repräsentiere. Die Handlungsfähigkeit der Koalition wurde unterschiedlich beurteilt: Es gebe eine größere Schnittmenge bei Industriepolitik, Bürgergeld und Migration, aber ernste Differenzen in der Gesellschaftspolitik und in Bezug auf ein mögliches AfD-Verbotsverfahren. Um die Erwartungen auf schnelles Handeln nicht zu enttäuschen, müsse das Kabinett daher Prioritäten setzen.

Als wichtiges Signal wurde die Bereitschaft genannt, das Bürgergeld zu reformieren, damit es nicht mehr in Konkurrenz zum durch Arbeit erworbenen Lohn stehe. Würde dies umgesetzt, wäre dies ein echter Durchbruch. Es brauche eine echte Reform des Sozialsystems und geringere Lohnnebenkosten, Arbeit müsse für alle Beteiligten wieder attraktiv werden. Mehrfach zogen Referenten den Vergleich mit der Agenda 2010 während Gerhard Schröders zweiter Amtszeit.

Unternehmen vergeuden zu viel Aufwand mit unnötiger Bürokratie – laut einer IFO-Studie fast ein Viertel der geleisteten Arbeitszeit. Die neue Regierung werde sich daran messen lassen müssen, diesen Wert zu reduzieren. Als positives Beispiel dafür, dass politischer Wille und ein „besonderes nationales Interesse“ Türen öffnen könne, wurde mehrfach auf den Bau eines LNG-Terminals in Mecklenburg-Vorpommern in Rekordzeit verwiesen. Allerdings wurde auch kritisch angemerkt, dass dieser Einzelfall eben deshalb so häufig zitiert werde, weil er eine Ausnahme sei.

In der Rüstungsindustrie herrscht Hoffnung, dass die im Zuge der geopolitischen Lage freigestellten Gelder auch in den Unternehmen ankommen. Es sollten nicht nur medienwirksam Spatenstiche für neue Fabriken zelebriert werden, sondern es müssten auch bereits bestehende Kapazitäten durch große Aufträge unter Leistungsdruck gesetzt werden. Vonseiten der Automobilindustrie appellierte man, Innovation und Wirtschaftsleistung nicht durch Verbote auszubremsen. Klimaschutz sei ohne wirtschaftliche Leistung nicht realisierbar. Ein grundsätzliches Verbot von Verbrennermotoren sei der falsche Weg. Elektromotoren setzten sich im Pkw-Bereich durch, sobald die Technologie auch die Kunden überzeuge. Dazu gehöre auch ein europaweites Netz von Ladesäulen. Bei speziellen Nutzfahrzeugen brauche man Technologieoffenheit statt Verbote. Die Bundesregierung müsse zudem via Brüssel internationale Handelsbeziehungen fördern, um wichtige Rohstoffmärkte zu öffnen.

Bei allen Forderungen an die Politiker gab es aber auch erfrischende Appelle an die Unternehmen, mehr Mut zu radikalen Veränderungen zu zeigen. Mit Zuversicht in die besonderen Fähigkeiten müsse sich jedes Unternehmen auf die eigenen Stärken konzentrieren, um den Kunden zeitgemäße Strukturen anzubieten. Illustriert wurde dieser Appell am Beispiel der Kutsche: Die Menschen haben ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Mobilität, das aber im Laufe der Zeit immer wieder anders bedient wurde. Und dieses Prinzip sei auf alle Wirtschaftsbranchen übertragbar.

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